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Besser entscheiden geht nur im Dialog.


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Michael Gleich. Buchautor, Kurator, Journalist und vieles mehr.


Dialog ist ein wunderbar sprechendes Wort. Es setzt sich zusammen aus dem griechischen dia = hindurch und logos = Wort, Sinn. Gemeint ist ein Austausch von Worten, bei dem der Sinn fließt und durchscheint. Es ist wertvoll, sich an die ursprüngliche Bedeutung zu erinnern, wenn man bedenkt, wie oft von Dialog gesprochen wird, ohne dass er tatsächlich stattfindet. Der Dialog mit der Jugend, der Bürgerdialog, der Mitarbeiterdialog. Allzu oft handelt es sich dabei um aneinandergereihte Monologe, bei denen keiner dem anderen zuhört. Dabei gibt es zahlreiche Dialogformate, für kleinere und für Großgruppen, die zur Sinnstiftung bei Veranstaltungen beitragen können.


Der österreichisch-israelische Philosoph Martin Buber (1878-1965) gilt als einer der wichtigsten Denker zu diesem Thema. In der von ihm so genannten Ich-Du-Beziehung findet Begegnung statt. Sie steht für unmittelbaren Präsenz und der Gegenseitigkeit. Buber meinte: "Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du.“ Eine frühe Einsicht, die von der modernen Hirnforschung und Entwicklungspsychologie bestätigt wird. an mir, wie ich an ihm wirke."


Die kommunikative Brücke zwischen dem Ich und dem Du ist der Dialog. Damit meint Buber mehr als den Austausch von Informationen und weit mehr als Gespräche, in denen jeder letztlich nur über sich (letztlich mit sich selbst) spricht; das sind für ihn „dialogisch verbrämte Monologe“. Wir alle kennen Alltagssituationen, in denen man gefragt wird "Wie geht's?" und der andere nur auf die Gegenfrage wartet, um dann langatmig zu erzählen, wie es ihm geht. Echtes Interesse gleich Null. Für Buber ist echter Dialog eine existentielle Begegnung, in der sich die Beteiligten in ihrer Ganzheit wahrnehmen und anerkennen. Dialog gelingt, wenn die Beteiligten im Augenblick präsent sind, an der Wahrheit interessiert sind (statt an Performance) und im Gespräch nichts Wesentliches zurückhalten. Er schreibt: „Wo aber das Gespräch sich in seinem Wesen erfüllt zwischen Partnern, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom Scheinenwollen frei sind, vollzieht sich eine denkwürdige, gemeinschaftliche Fruchtbarkeit.“


Im Austausch zwischen zweien entsteht ein Drittes – neue Ideen, tiefere Einsichten, größeres Verständnis: „Das Zwischenmenschliche erschließt das sonst Unerschlossene.“ Das bringt ihn zu einem zentralen Satz seiner Philosophie, der auch mich in meiner Haltung zu Veranstaltungen stark geprägt hat: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“


David Bohm, Quantenphysiker und Philosoph (1917 - 1992), war der zweite Impulsgeber, auf den sich die modernen Dialogformate beziehen. Ihm war in wissenschaftlichen Diskussionen aufgefallen, welche mentalen und kognitiven Barrieren in den Köpfen freies und innovatives Denken behindern. Eine davon: Ohne es zu merken, zerstückeln und fragmentieren wir die Wirklichkeit. Das hat seine Berechtigung, weil wir so besser analysieren können, und es hat seine Tücken, weil die Welt in Wirklichkeit aus fließenden Übergängen besteht. Wissenschaftliches Denken, so Bohm, verstehe viel von Teilen, aber wenig vom Ganzen. In diesem fragmentierten Denken liege die Ursache vieler persönlicher und gesellschaftlicher Probleme.

Das zweite große Hindernis sieht er darin, dass wir zwar ständig denken, uns der Denkprozesse aber meist nicht bewusst sind. „Wir sind so gewöhnt daran, das Denken als selbstverständlich hinzunehmen, dass wir es überhaupt nicht beachten.“ Seine Automatismen, bestehend aus Vorurteilen, aus der Vergangenheit (bis zurück in die Kindheit) übernommenen Mustern und nie hinterfragten Glaubenssätzen, verstellen den ungetrübten Blick auf die Wirklichkeit. Ein Satz, der der französischen Schriftstellerin Anaïs Nin zugeordnet wird, bringt die Gedankenfilter, die die Wirklichkeit verzerren, auf den Punkt: Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind.

 Für Bohm war der Dialog ein möglicher Ausweg aus den „inneren Denkgefängnissen“. Anders als Buber dachte er dabei nicht an Zwiegespräche, sondern an das gemeinsame laute und leise Nachdenken von Gruppen. Er war es auch, der die ersten Spielregeln formulierte, damit kollektive Intelligenz – und nicht kollektive Dummheit – entstehen kann. Zu den Spielregeln gehört für ihn das Suspendieren, d.h. auf Äußerungen nicht sofort mit Bewertung oder Kontra zu reagieren, sondern alle Meinungen zunächst in der Schwebe zu halten und gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen. Er plädiert dafür, Dialoge ohne Agenda, Ziele oder Ergebnisdruck zu organisieren, möglichst auch ohne Themensetzung: Das aktuell brennende Thema ergibt sich im Austausch von selbst.

 

Dieser Text stammt aus dem gerade erschienenen Buch „Sinnstiftende Veranstaltungen. Mit kreativem Eventdesign begeistern, bewegen und erfolgreich werden“.


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